In 3 Schritten Agilitätskompetenz aufbauen
Immer mehr Unternehmen möchten agile Strukturen und Arbeitsweisen etablieren. Oft wird jedoch vergessen: Nicht alle Mitarbeitenden können agil arbeiten. Wie kann ich als Führungskraft also ermitteln, wie gut sich jemand in agilen Prozessen und Arbeitsformen zurechtfinden wird – wie stark also seine Agilitätskompetenz ist – um dann gezielt in Entwicklungsmaßnahmen zu investieren? Hierfür gibt es etablierte Instrumente aus dem Bereich der Potenzialanalyse und Eignungsdiagnostik.
Immer wieder merken wir, wie wichtig es ist, dass Führungskräfte agiles Arbeiten nicht nur in der Theorie kennen, sondern auch verstehen, dass nicht alle Mitarbeitenden von Beginn an mit agilen Organisationsformen umgehen können. Einfach nur Prozesse, Strukturen und Instrumente zu definieren, zur Verfügung zu stellen und darauf zu bauen, dass diese dann auch greifen – das wird nicht funktionieren. Vor allem nicht, wenn man das volle Potenzial agiler Organisationsformen nutzen will.
Es ist also von zentraler Bedeutung, dass Mitarbeiter:innen in agilen Prozessen begleitet werden, indem auch geschaut wird, ob sie die Kompetenzen für agiles Arbeiten überhaupt mitbringen. Aber was genau bedeutet Agilitätskompetenz?
Agilitätskompetenz ist eine Kompetenz, die sich aus einigen Sozialkompetenzen zusammensetzt. Zu diesen grundlegenden Soft Skills gehören:
Selbstsicherheit (= Souveränität, Fachkompetenz, Sicherheit und Akzeptanz)
Eigeninitiative (= kontinuierliche Verbesserung, proaktives Handeln)
Eigenverantwortlichkeit, Selbstwirksamkeit (= Glaube an die eigenen Möglichkeiten)
Flexibilität (= umgehen mit Veränderung)
Umgang mit Misserfolgen und Kritik (=lernen aus Feedback und Fehlern)
Einfühlungsvermögen (= Erkennen von Situationen und Bedürfnissen)
Um also Agilitätskompetenz bei den Mitarbeitenden aufzubauen, muss zunächst der Staus quo ermittelt werden, d.h. wie stark die unterschiedlichen Kompetenzen aktuell ausgeprägt sind. Im nächsten Schritt können dann weniger stark ausgebildete Fähigkeiten durch gezielte Maßnahmen gesteigert werden. Nur so ist eine souveräne, erfolgreiche – und wirklich agile Zusammenarbeit – möglich.
1. Analyse der Agilitätskompetenz: Soft Skills messen mit geeigneten Analyse- und Testverfahren
Ein Instrumentarium zur Bestimmung der Agilitätskompetenz sind die DNLA-Verfahren (Discovering Natural Latent Abilities). Sie bauen auf Erkenntnissen der Arbeitspsychologie und der Forschung zu beruflichen Erfolgsfaktoren auf. Das Ziel der Verfahren ist es, grundlegende, für den beruflichen Bereich relevante Soft Skills in ihrer derzeitigen Ausprägung zu messen. Dazu beantworten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einen Online-Fragenkatalog. Aus den Antworten wird, bezogen auf die Anforderungen der aktuellen oder der zukünftig angestrebten Position, das derzeitige Potenzial in verschiedenen Faktoren ermittelt.
Das Praxisbeispiel:
Im obenstehenden Beispiel zeigt das – grundsätzlich sehr gute – Ergebnis der Potenzialanalyse, dass dieser Mitarbeiter eine stark überdurchschnittliche Leistungserwartung an sich selbst hat und dazu neigt sich selbst unter Druck zu setzen. Auch ein gewisser Hang zum Perfektionismus wird von dem Mitarbeiter selbst im Gespräch geschildert. Das Ganze geht einher mit einem Faktor, der einen „Ausreißer“ aus dem guten Gesamtbild nach unten darstellt: Die „Misserfolgstoleranz“, also die Fähigkeit, gut mit kleinen und größeren Misserfolgen und Rückschlägen umzugehen, ist stark unter dem ausgeprägt, was die Position erfordert.
2. Aufbau der Agilitätskompetenz: Soft Skills entwickeln mit geeigneten Maßnahmen
Dieses Potenzialanalyseergebnis ist aber immer nur der erste Schritt. Es dient als Ausgangsbasis für den weiteren Entwicklungs- und Beratungsprozess. Das Ergebnis wird dabei genutzt wie eine „Landkarte“ oder wie ein Kompass. Es ist eine objektive Grundlage, um im persönlichen Gespräch zu eruieren, wo die Person schon sehr gut aufgestellt ist für die Aufgaben, die sie bereits übernimmt oder noch übernehmen soll, wo eventuell schon Überausprägungen und Übertreibungen vorliegen, und in welchen Handlungsfeldern sie sich noch verbessern kann. Diese Bereiche können dann näher betrachtet werden: Es wird analysiert, warum sich bestimmte Potenziale eher abgebaut haben oder wodurch eigentlich vorhandene Potenziale vielleicht „blockiert“ werden und damit aktuell nicht zum Tragen kommen (zum Beispiel durch Stressbelastung oder aktuelle Einflüsse aus dem Unternehmensumfeld).
Aufbauend auf dieser Situationsanalyse können dann geeignete Förder- und Entwicklungsmaßnahmen abgeleitet werden und zwar sowohl für die einzelne Person als auch auf der kollektiven Ebene, wenn bestimmte Problembereiche viele Personen im Unternehmen betreffen. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn Führungsfehler passieren oder wenn bestimmte Ereignisse für Verunsicherung bei vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Unternehmen sorgen.
Das Praxisbeispiel:
Mit dem Analyseergebnis als Ausgangspunkt stellt sich im Gespräch heraus, dass der Mitarbeiter insgeheim Angst davor hat, Fehler zu machen. Diese möchte er möglichst vermeiden – alles, was er „abliefert“ soll möglichst „perfekt“ sein. Diese Einstellung und Arbeitsweise hat sich über lange Zeit bei dem Mitarbeiter entwickelt und ihn stark geprägt. Und sie war auch sehr erfolgreich – im alten, hierarchisch organisierten Umfeld. Die Vorgesetzte des Mitarbeiters wusste die Perfektion und Zuverlässigkeit immer sehr zu schätzen. In einem agilen Arbeitsumfeld gelten aber andere Regeln.
Häufig wird die „perfekte“ Lösung erst Schritt für Schritt gemeinsam mit dem Kunden entwickelt. Manchmal sind schnelle Lösungen und flexibles Handeln gefragt und es ist wichtiger, dass der Entwicklungsprozess in einem Projekt weitergeht, als dass alles schon perfekt ausgereift ist.
Mit verschiedenen Elementen wird also nun gezielt an den beiden Punkten „Umgang mit Misserfolgen“ und „Perfektionismus“ des Mitarbeiters gearbeitet. Dazu zählen das Auswertungsgespräch zur Analyse selbst, ein unterstützter Selbstreflexionsprozess, und ein internes Mentoringmodell, bei dem „Agilitäts-Champions“ ihren Kolleginnen und Kollegen zur Seite stehen und mit ihnen im Arbeitsalltag ihre Erfahrungen austauschen. Außerdem hilft es, die Problembereiche – in dem Fall, wie gehe ich mit Perfektion und wie mit Fehlern um – rational zu durchdringen und Literatur zur Hand zur haben. Aus Büchern wie „Die Kunst des erfolgreichen Scheiterns“ und entsprechenden Erfahrungsberichten, wie denen von Motivationstrainerin Katja Porsch:
Wir haben von Natur aus, als Kind die geniale Eigenschaft, dass wir immer wieder aufstehen, so lange, bis wir es können. Und je älter wir werden lassen wir uns meist diese Fähigkeit „abtrainieren“. Wir sind nicht mehr gewohnt und nicht bereit, „hinzufallen“ und uns wehzutun. Aber genau das brauchen wir, um Erfolg zu haben. Beides gehört zusammen. Ich kann den Erfolg nicht haben, wenn ich Angst vor dem Misserfolg habe und ihm immer aus dem Weg gehe.
3. Erhalt der Agilitätskompetenz: Soft Skills erhalten durch ein geeignetes Umfeld
Der letzte Schritt ist, neu entstandene oder von Neuem freigesetzte Potenziale regelmäßig zu nutzen und zu stabilisieren. Dabei sind vor allem Elemente der Umsetzungsberatung wichtig. Eine Begleitung über einen gewissen Zeitraum durch interne Mentoren oder auch durch externe Coaches hilft, die neuen Potenziale und Verhaltensweisen zu festigen. Auch gemeinsame Entwicklungsschritte – zum Beispiel Teamworkshops – können helfen, Potenziale langfristig zu erhalten und nachhaltige Veränderungen zu erzielen.
Zudem ist es für einen nachhaltigen Potenzialaufbau sehr vorteilhaft, solch einen Soft-Skills-Analyse- und -Entwicklungszyklus nicht nur einmal zu durchlaufen, sondern ein- bis zweimal zu wiederholen.
Das Praxisbeispiel:
Im hier geschilderten Fall halfen die internen Mentoren dem Mitarbeiter dabei, gelassener und konstruktiver mit Fehlern umzugehen und diese gerade in agilen Prozessen auch als Katalysatoren und wichtige Elemente der Weiterentwicklung zu betrachten. So hat er gelernt, dass Aufgaben, die zwar nicht falsch, aber auch noch nicht „perfekt“ bearbeitet wurden, nicht als Makel anzusehen sind – und schon gar nicht als persönliche Niederlage – sondern als ganz natürliche Elemente eines Entwicklungsprozesses.
Ein teaminterner Austausch in einem Workshop half außerdem zu erkennen, dass man mit verschiedenen „Anpassungsproblemen“ beim Arbeiten in den neuen, agilen Strukturen nicht alleine war.
Fazit: Agilitätskompetenz entwickeln
Die Analyse und der Aufbau von Agilitätskompetenz sollte bei der Einführung agiler Strukturen mitbedacht werden, ansonsten kann die Umstellung im Unternehmen sehr mühsam sein und im schlimmsten Fall scheitern. Mit einfachen Instrumenten können die verschiedenen Kompetenzen in ihrer aktuellen Ausprägung analysiert und bei Bedarf gezielt entwickelt werden. Dabei sollte man strukturiert und auf Basis einer objektiven Standortbestimmung mit Hilfe von geeigneten Potenzialanalyseverfahren vorgehen.
Wichtig ist auch: So klar definiert diese Vorgehensweise ist, so individuell sind die darauf folgenden Förder- und Entwicklungsmaßnahmen, die im Bedarfsfall für die betreffende Person entwickelt werden. Eine professionelle Begleitung bei der Umsetzung im Arbeitsalltag hilft, die neu entwickelten Potenziale effektiv zu nutzen und abzusichern.