Verlierer reagieren – Anführer antizipieren: Wie proaktive Führung Erfolge planbar macht
Erfolge? Planbar? Pah! Also wenn wir eines gelernt haben in den letzten drei (hust, hust, Corona-) Jahren, dann doch, dass überhaupt nichts planbar war in dem ganzen Chaos. Nicht in der Unternehmenswelt und nicht im Privaten. Allerdings bin ich kein Fan davon, die äußeren Faktoren zu betrauern. Denn auf, den wichtigsten Bereich haben wir in all dem Durcheinander noch immer Einfluss: die Menschenführung.
There is no „I“ in TEAM
Warum Antizipation nicht nur eine Schlüsselqualifikation, sondern beinahe „everything“ ist, zeigt uns der Leistungssport. Und ich ergänze sinnvoll: Der Mannschafts-Leistungssport. Denn nichts auf der Welt ist Unternehmens-ähnlicher als der Mannschaftssport auf Leistungsebene.
Hier verschwimmen die Grenzen zwischen „ich“ und „wir“. Denn wie sagt man so schön: „There is no ‚I‘ in TEAM.“ Wer gemeinsam die aufregendsten, schwierigsten und herausforderndsten Momente meistert, weiß, dass wahre Stärke im Team zu finden ist.
Zu viele „Vollpfosten“ in der Führungsetage
Menschen in Unternehmen können genauso begeistert werden wie Spitzenathleten. Die Wahrheit ist, und das zeigt die Gallup-Studie Jahr für Jahr, dass es immer noch zu viele – mit Verlaub – „Vollpfosten“ in der Führungsetage gibt. Doch genug der Provokation, denn eine der obersten Regeln im Leistungssport lautet: Immer konstruktiv, fair und sportlich bleiben.
Also ab ans Eingemachte: Was hat Führung nun mit Antizipation zu tun?
Insgesamt gibt es vier Ebenen der Antizipation: Die strukturelle, kulturelle, strategische und zeitliche Ebene. Ich möchte mich hier auf die ersten beiden Ebenen fokussieren. Auf geht’s!
Auf der Strukturebene bedeutet Antizipation das, was alle machen. Als Cheftrainer der Deutschen Fußballnationalmannschaft gehört es zum täglichen Handwerk, den nächsten Gegner genau zu analysieren und die eigenen Spieler bestmöglich darauf vorzubereiten. Übertragen auf ein Unternehmen ist das die Analyse des Marktes und des Wettbewerbs.
Meine Beobachtung ist, dass sich so viele im „Wir sind halt nicht so reich wie der FC Bayern München“ verlieren. Hier würde ich gerne jedem ambitionierten Team oder Unternehmen eine wirklich grundlegende Botschaft ans Herz legen: Besinnt euch auf euren eigenen Gestaltungsspielraum und vergesst für den Moment mal alle anderen.
Das eigene Team stärken. Immer. Punkt.
Ich habe einige Goldmedaillen im Vitrinenschrank meines Elternhauses hängen. Aus meiner aktiven Karriere, aber auch aus meiner Zeit als Cheftrainerin. Wenn mir eine Sache geholfen hat, um mit Erwartungsdruck und der Stärke der Konkurrenz umzugehen, dann war es am Ende immer der Fokus auf dem, was wir selbst tun konnten.
Frage dich daher: Was können wir mit dem jetzigen Bestand an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, an technischen Gegebenheiten, in der jetzigen finanziellen Situation aktiv tun? Ignoriere alles andere so gut es geht, denn Hadern, Unzufriedenheit oder der Vergleich mit Dritten macht nie einen positiven Unterschied. Schließlich besteht eine Mannschaft nie nur aus Mbappés und Messis. Nicht in den Reihen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und nicht einmal beim besten Fußballverein der Welt. Und das ist völlig okay so.
Denn es geht einzig und allein um die optimale Stärkung der bestehenden Spieler. Und jetzt zur Antizipation, der Kunst, künftige Entwicklungen treffend einzuschätzen und damit dem Schicksal einen Schritt voraus zu sein, und der Fähigkeit, das Team treffend zu beurteilen und für kommende Herausforderungen zu wappnen.
So simpel und keine neue Erkenntnis. Wie aber stellt man Teamzufriedenheit als Grundlage für Motivation her?
Hier hilft es, den Fokus komplett auf die kulturelle Ebene zu richten. Kannst du realistisch beurteilen, wie zufrieden deine Mannschaft aktuell ist? Der allgemeine Firmenfokus liegt normalerweise auf Zahlen und Zielen, während die Firmenkultur etwas ist, das man grob über den Daumen gepeilt beurteilt und handhabt. Leider ein Kardinalfehler. Das Firmenklima gehört immer – ich wiederhole: immer! – an oberster Stelle. Es ist so einfach, aber kaum ein Unternehmen versteht das.
Im Sport wissen wir haargenau, wer mit wem kann – und das tagesaktuell – und wie die allgemeine Stimmung ist. Wir wissen, wer privat strauchelt und warum, oder wer gerade ganz oben auf der Welle surft. Wie Seismographen achten wir Trainer auf jede Schwingung innerhalb des Teams.
Zu viel gute Stimmung gibt es nicht
Wenn du selbst Führungskraft bist oder Führungskräfte für Teams einsetzt: Achte darauf, dass die gute Stimmung innerhalb des Teams zur Priorität Nr. 1 wird.
Invest in gute Stimmung
Direkte Intervention bei Krisenstimmung (oder davor)
Invest in gute Stimmung ist ein hoch-antizipatorischer Akt. Viele machen den Fehler, zu denken: „Ach, um diesen Mitarbeiter muss ich mich aktuell nicht kümmern, bei dem läuft’s gut.“ Ein befreundeter CEO sagte vor nicht allzu langer Zeit zu mir: „Wir verreisen bald mit dem gesamten Team zur Stärkung der Unternehmenskultur. Aber die Stimmung ist gerade so gut, ich glaube, das könnten wir uns eigentlich sparen.“
Ein Trugschluss. Zu viel gute Stimmung hat noch kein Team der Welt schlechter gemacht. Der Invest in gute Stimmung manifestiert den positiven IST-Zustand und lässt das Polster für künftige Herausforderungen dicker werden.
Keine Angst vor Ehrlichkeit
Die Intervention bei Krisenstimmung kommt in den meisten Unternehmen grundsätzlich zu spät. Viele fangen erst dann an zu kommunizieren, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist und der Mitarbeiter in Vertragsverhandlungen mit der Konkurrenz steht.
Kulturelle Antizipation bedeutet: Habe zu jeder Zeit deine Antennen scharf und bei der Mannschaft. Habe ehrliches Interesse und Zeit für denjenigen, der in letzter Zeit plötzlich etwas schweigsam geworden ist. Und wenn du selbst das nicht kannst, dann installiere mehrere Menschen in deinem Unternehmen, die dieses Feld bespielen. Zu wissen, wo der Schuh drückt, bevor der Zeh abstirbt, und sofort ein ehrliches Gespräch über die Gründe der Unzufriedenheit anzubieten, ist ein antizipatorischer Akt, der sich auszahlt. Er stoppt die Negativspirale, bevor sie überhaupt beginnt.
Leider ist die Angst vor dieser Ehrlichkeit noch immer sehr groß in Unternehmen. Lieber sitzt man die Dinge aus, die brodeln. „Wird schon irgendwie vorbeigehen, der Ärger.“ Spoiler: Das tut er nicht.
Ich hatte einmal im Team die Situation, dass eine Athletin, Leistungsträgerin, haderte. Mit sich, ihrer Leistung, ihrer privaten Situation. Damit vergiftete sie unterschwellig die Stimmung innerhalb der gesamten Mannschaft. Sie so früh wie möglich zur Seite zu nehmen, die Herausforderungen zu thematisieren, sie damit nicht alleine zu lassen, war der Schlüssel dazu, dass es für alle wieder funktionieren konnte. Deshalb lautet mein dringender Appell: Unterschätze nie den Einfluss einer einzelnen Person auf die Gesamtsituation in Sachen Unternehmenskultur. Denn ein schlecht gelaunter Fahrgast kann die ganze Busfahrt versauen.
Ein „Feel-Good-Manager“ reicht nicht aus
Ich stelle immer wieder fest, dass viel zu wenige Unternehmen ausreichend Menschen an Bord haben, deren Zuständigkeit es ist, sich um die Zufriedenheit zu kümmern. Es reicht eben nicht nur, einen „Feel-Good-Manager“ einzustellen. Es muss ein zentraler Aspekt der Firmenhandhabung sein, den Arbeitsplatz zu einem Ort zu machen, an dem Probleme thematisiert und realistische Ziele positiv miteinander definiert werden – so wie im Sport.
Lerne also, zu antizipieren, was die Negativität eines Einzelnen für den Rest der Truppe bedeuten könnte. Warte nicht, bis eine Meinungsverschiedenheit eskaliert und Bratpfannen als Schlagwaffe eingesetzt werden. Entscheide dich frühzeitig für Kommunikation. Damit schaffst du ein Fundament für ein motivierendes Arbeitsumfeld – und die Grundlage für Leistung.
Wenn eines klar ist, dann, dass langfristiger Erfolg – nur durch die Planung des scheinbar Unplanbaren möglich ist. Durch die Stärkung des einzigen Faktors, den wir positiv beeinflussen können: Den Menschen.
US-Coaching-Legende Anthony Robbins – kein Weltmeister, aber Meister in der Kunst, andere zu motivieren – sagte einst so treffend: „Anticipation is the ultimate power. Losers react; leaders anticipate.“
In diesem Sinne: Beginne heute, das Beste für morgen anzugehen.
Du möchtest auch die anderen beiden Ebenen kennenlernen? Hier geht’s zum Artikel „Proaktive Führung auf allen Ebenen: Antizipation, Handlungsfähigkeit und Zukunftsgestaltung“.